AOK-Rabattverträge stärken die Arzneimittelversorgung
Sicherere Versorgung, mehr Wettbewerb und geringere Ausgaben
Anfang September 2019 waren 99,3 Prozent der Arzneimittel, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, lieferbar. Nur 461 Arzneimittel waren laut offiziellen Meldungen, die auf freiwilligen Meldungen der Pharmaindustrie basieren, vorübergehend nicht verfügbar. Unter den 9.000 Arzneimitteln, für die es einen AOK-Rabattvertrag gibt, lag der Anteil der lieferbaren Präparate demnach sogar bei 99,7 Prozent. Auch bei Berücksichtigung des schwedischen Melderegisters für Arzneimittellieferschwierigkeiten bestätigt sich die hohe Versorgungssicherheit in Deutschland. "Dennoch scheint das Gerücht von umfangreichen Lieferengpässen bei Arzneimitteln in Deutschland und von den dafür verantwortlichen Rabattverträgen durch ständiges Wiederholen die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Fakten erzählen jedoch eine andere Geschichte", sagt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Analysen des WIdO zeigen: "Die Arzneimittelrabattverträge erhöhen die Versorgungssicherheit, stärken den Wettbewerb unter den Pharmafirmen und senken die Arzneimittelkosten."
Die Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zu den Verfügbarkeitsquoten für ambulant verordnete Arzneimittel zeigt, dass mit 461 Produkten zum 1. September 2019 nur wenige Mittel nicht lieferbar sind. Grundlage der Analyse sind die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldeten Lieferunfähigkeiten, die von den Pharmaherstellern freiwillig gemeldet werden. Werden die insgesamt mehr als 66.000 verschiedenen Arzneimittel, die im Jahr 2018 auf dem Markt erhältlich und zu Lasten der GKV verordnet wurden, als Vergleichsmaßstab herangezogen, zeigt sich eine Verfügbarkeitsquote aller Produkte von 99,3 Prozent. Helmut Schröder ergänzt: „Lieferengpässe sind keine Versorgungsengpässe. Im Fall von temporären Lieferschwierigkeiten stehen in der Regel in der ambulanten Versorgung genügend Alternativen anderer Hersteller zur Verfügung.“
Um die immer wieder behaupteten Versorgungsengpässe empirisch überprüfen zu können, fordern die Versorgungsforscher des WIdO eine verpflichtende Meldung von Lieferengpässen – vom Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke. Schröder: „Es ist nicht einzusehen, dass wir heute den Weg unserer Paketsendungen online mitverfolgen können, dies aber bei der ungleich wichtigeren Arzneimittelversorgung in Deutschland nicht gelingen soll.“
In anderen europäischen Ländern gibt es bereits ein verpflichtendes Melderegister für Lieferengpässe, beispielsweise in Schweden, wo zum 31. Oktober 2019 ca. 97,3 Prozent der Arzneimittel vor Ort lieferbar waren. Der Anteil der als nicht lieferbar gemeldeten Produkte ist somit etwas größer, als es die freiwilligen Herstellermeldungen an das BfArM für den deutschen Markt erkennen lassen: Für seine Analyse hat das WIdO die beim BfarM gelisteten Meldungen der Lieferunfähigkeiten um Produkte ergänzt, die sowohl in der schwedischen Liste vorkommen als auch in Deutschland angeboten werden. Die Anzahl nicht lieferbarer Arzneimittel in Deutschland erhöht sich dabei von 461 auf 543 Produkte. „Selbst unter Einbezug der Daten aus Schweden bleibt das Fazit, dass mit einer Verfügbarkeitsquote von 99,2 Prozent die Versorgung in Deutschland sicher ist“, so Schröder.
Auch die AOK-Arzneimittelrabattverträge enthalten seit Jahren die Vorgabe, dass die Vertragspartner die AOK über nicht lieferbare Vertragsprodukte verpflichtend informieren müssen. Um die Liefersicherheit noch zu erhöhen, müssen die Vertragspartner außerdem einen ausreichenden Arzneimittelbestand vorhalten – und das bereits vor Vertragsstart. Hilfreich dabei sind exklusive Verträge, da Pharmafirmen so ihre Absatzmengen besser kalkulieren können, als wenn sie bei Mehrpartnerverträgen mit mehreren Anbietern konkurrieren müssen.
Schröder verweist darauf, dass Pharmaunternehmen zumeist global agierende, börsennotierte Unternehmen seien. Der deutsche Markt hingegen habe nur einen Anteil von rund vier Prozent am weltweiten Arzneimittelumsatz. Daher spiele die Versorgung in Deutschland nur eine geringe Rolle am globalen Markt. „Die Rabattverträge für global auftretende Lieferengpässe verantwortlich zu machen ist abwegig“, so Schröder.
Sicherere Versorgung
Exklusive Arzneimittelrabattverträge für Generika haben über die höhere Liefersicherheit hinaus den Vorteil, dass Patienten stabiler versorgt werden: 2018 haben über 79 Prozent der Patienten, die einen rabattierten Wirkstoff über einen längeren Zeitraum einnehmen müssen, ihr Medikament dauerhaft von demselben Hersteller erhalten.
Beispielhaft steht dafür die Auswertung der Profile von 2 Millionen Patienten, die den Wirkstoff Ramipril einnehmen. Ramipril wird, gemessen an den Tagesdosen, GKV-weit am meisten verordnet. Danach erhielten 2006 noch über 35 Prozent der Patienten den Wirkstoff innerhalb des Jahres von mehreren Herstellern. 2018 waren es nur noch 14 Prozent, die auf ein anderes Arzneimittel umstellen mussten. „Rabattverträge tragen dazu bei, unnötige Medikamentenwechsel zu vermeiden. Das fördert die Therapietreue der Patienten und den Erfolg der Therapie“, sagt Helmut Schröder.
Für diese Auswertung hat das WIdO die mehr als 44 Millionen wirkstoffbezogenen Profile von AOK-Arzneimittelpatienten der Jahre 2006 und 2018 bei generikafähigen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen untersucht. Demnach erhielten 2006, dem Jahr vor der Einführung der Rabattverträge, nur knapp 74 Prozent der Patienten ihr Arzneimittel dauerhaft vom selben Anbieter. „Der Anteil der Patienten ohne Wechsel des Medikamentenherstellers ist zwischen 2006 und 2018 deutlich gestiegen“, fasst Helmut Schröder zusammen. „Unsere Analysen zeigen, dass exklusive Rabattverträge die Arzneimittelversorgung sicherer machen. Da überraschen aktuelle Forderungen, diese Verträge nur noch mit mindestens drei Herstellern zuzulassen.“
Mehr Wettbewerb
Schröder weist darauf hin, dass die aktuellen politischen Forderungen zu den Arzneimittelrabattverträgen weder Lieferengpässe verhindern noch die Versorgung verbessern würden. Vielmehr bestünde bei der Einführung eines verpflichtenden Mehrpartnermodells die Gefahr, dass vor allem große Anbieter größere Marktanteile erzielen könnten. Kleinere Anbieter hätten das Nachsehen. Die Anbietervielfalt würde reduziert. „Das würde einen Rückschritt in die Zeit vor Einführung der Rabattverträge bedeuten, in der Großkonzerne den Markt beherrscht haben“, so Schröder.
Exklusive Rabattverträge können sich hingegen positiv auf die Anbietervielfalt auswirken, wie das WIdO anhand der Umsatzverteilung auf die verschiedenen Arzneimittelhersteller zeigt. Dafür wurde die Umsatzkonzentration im Jahr 2006, also vor Einführung der Rabattverträge, der Umsatzkonzentration im generikafähigen Markt im Jahr 2018 gegenübergestellt. Im Ergebnis ist die Marktkonzentration, die bereits 2006 insgesamt niedrig war, 2018 noch weiter gesunken. Der für die Messung der Marktkonzentration etablierte Herfindahl-Hirschman-Index hat sich von 478 auf 277 reduziert.
Dieser Index wird unter anderem vom Statistischen Bundesamt und der Europäischen Kommission zur Beobachtung der Marktkonzentration herangezogen. Gemäß der Europäischen Kommission kennzeichnet ein Wert unterhalb von 1.000 eine niedrige Marktkonzentration, ein Wert bis 1.800 eine mittlere Konzentration und Werte oberhalb 1.800 eine starke Marktkonzentration. „Unsere Analysen zeigen eine sinkende Marktkonzentration im Generikamarkt“, so WIdO-Vize Helmut Schröder. „Im Umkehrschluss gehen exklusive Rabattverträge mit einem steigenden Anbieterwettbewerb im Generikamarkt einher und fördern die Vielfalt.“
Geringere Ausgaben
Die Krankenkassen nutzen die seit 2007 vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschte Möglichkeit, Rabattverträge für Generika-Wirkstoffe zu verhandeln, intensiv: 2018 waren unter den insgesamt 2.493 ambulant verordneten Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen 636 bei mindestens einer Krankenkasse rabattiert. Dies bedeutet auch für die Apotheken in Deutschland, dass es nicht mehr unbedingt notwendig ist, alle verfügbaren verschiedenen Arzneimittelpackungen zu bevorraten.
Die Krankenkassen konnten durch die Rabattverträge ihre Arzneimittelausgaben im Jahr 2018 um insgesamt 4,5 Milliarden Euro senken. „Durch die preiswertere Versorgung mit Generika können die frei werdenden Gelder für eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten genutzt werden, und das ohne jeglichen Qualitätsverlust“, so das Fazit von Helmut Schröder.